Sie sind hier: Startseite Forschung Muße lernen?

Muße lernen?

Was war und ist Muße, wie wurde und wird sie verhandelt und praktiziert? Im Sonderforschungsbereichs 1015 „Muße. Grenzen, Raumzeitlichkeit, Praktiken“ arbeiten 14 Fächer der Universität Freiburg in einem interdisziplinären Forschungsverbund zusammen. Durch die in der zweiten Förderphase neu hinzugekommenen Fächer – u.a. die Kulturanthropologie – rücken der Gegenwartsbezug der Forschungen und die gesellschaftliche Bedeutung der Muße stärker in den Fokus.

Muße

Das kulturanthropologische Teilprojekt G6 „Muße lernen?“ ist dem Projektbereich „Grenzen“ zugeordnet und beschäftigt sich mit alltagpraktischen Zugängen zu Muße-Lernen und Muße-Erleben im Kontext von Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft sowie Selbstoptimierung. Haben soziale Akteur*innen angesichts der Herausforderungen der Leistungsgesellschaft Muße verlernt? Oder greifen sie vielmehr in diesen Zeiten besonders auf Muße-Praktiken und Muße-Erfahrungen zurück? Um diesen Fragen nachzugehen, erforscht das Teilprojekt akteurszentriert und ethnografisch Kurse eines wachsenden Freizeitmarktes (Yoga, Meditation, Waldbaden etc.), in denen Menschen Muße gezielt erlernen und praktizieren wollen.

Diese Kurse versprechen in ihren Beschreibungen Gegenprogramme zu einer von Leistungs- und Wettbewerbsideologien geprägten Gesellschaft zu sein. Im Projekt wird untersucht, wie die Anbieter*innen und Teilnehmenden mit diesen Ideologien umgehen und wie die Teilnehmenden innerhalb der jeweiligen Angebote Optimierung praktizieren (‚Entspannungsübung am besten ausführen‘, ‚schneller ruhig werden‘ etc.). Der Mußebegriff der Akteur*innen wird als essentialistisch und normativ angenommen (‚sinnvolle‘, ‚gesunde‘, ‚richtige‘ Umgangsweisen mit Muße). Er soll dekonstruiert und mit dem im Sonderforschungsbereich erarbeiteten analytischen Mußebegriff in ein konstruktives Spannungsfeld gesetzt werden. Aber nicht nur die diskursiven Aushandlungen von Muße werden betrachtet, sondern ebenso das sinnlich-emotionale und körperliche Erfahren von Muße und ihre dinglichen Manifestationen im Rahmen der Kurse.

Die scheinbar dichotomischen Gegenüberstellungen von Arbeit und Freizeit, Aktion und Kontemplation, Leistung und Untätigkeit sollen auf ihren grenzüberschreitenden Charakter hin untersucht werden. Den Erkenntnissen und Perspektiven des Sonderforschungsbereichs folgend, wird ebenso nach Muße-Praktiken gefragt, durch die sich Akteur*innen Leistungsideologien widersetzen und die auf Konzepte wie Freiheit, Untätigkeit und Unproduktivität zurückgreifen.

Über das Teilprojekt hinaus soll durch die Mitarbeit im Transferprojekt „Mußeum: Museum der Muße und Literatur“ in Baden-Baden die Vermittlung der Forschungsergebnisse des Sonderforschungsbereichs an eine breite Öffentlichkeit ermöglicht werden.

 

Projektleitung: Prof. Dr. Markus Tauschek

Projektmitarbeiterin: Inga Wilke M.A.

 

What was and is otium (German term ‘Muße’), how was and is it negotiated and practised? In the Collaborative Research Centre 1015 “Otium. Boundaries – Chronotopes – Practices”, 14 disciplines at the University of Freiburg work together in an interdisciplinary research network. The new disciplines added in the second funding phase – including Cultural Anthropology – bring the present-day relevance of the research and the social significance of otium into sharper focus.

The cultural anthropological sub-project G6 “Learning Otium? Leisure, Creativity and Deceleration in the Context of Performance Enhancement and Self-Improvement” is assigned to the project area “Boundaries” and deals with everyday practical approaches to leisure learning and leisure experience in the context of performance and competitive society as well as self-optimisation. Have social actors forgotten otium in the face of the challenges of the meritocracy? Or do they rather resort to otium practices and otium experiences in particular in these times? In order to answer these questions, the sub-project explores courses in a growing leisure market (yoga, meditation, forest bathing, etc.) in an actor-centred and ethnographic way, in which people specifically want to learn and practise otium.

In their descriptions, these courses promise to be counter-programmes to a society shaped by performance and competitive ideologies. The project investigates how the providers and participants deal with these ideologies and how the participants practise optimisation within the respective offers ('how to best perform a relaxation exercise', 'how to become calm faster', etc.). The actors' concept of leisure is assumed to be essentialist and normative ('sensible', 'healthy', 'right' ways of dealing with leisure). It is to be deconstructed and dialogised with the analytical concept of otium developed in the Collaborative Research Centre 1015. However, not only the discursive negotiation of otium will be considered, but also its sensual-emotional and physical experience and its material manifestations in the context of the courses.

The seemingly dichotomous juxtapositions of work and leisure, action and contemplation, performance and inactivity will be examined for their cross-border character. Following the findings and perspectives of the Collaborative Research Centre 1015, we will also ask about practices of leisure through which actors resist ideologies of performance and which draw on concepts such as freedom, inactivity and unproductivity.

In addition to the sub-project, the transfer project "Mußeum: Museum of Otium and Literature" in Baden-Baden will enable the research results of the Collaborative Research Centre 1015 to be communicated to a broad public.

Project head: Prof. Dr. Markus Tauschek

Staff: Inga Wilke M.A.