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Abstinente Alltage

Abstinente Alltage. Strategien und Techniken der Alltagsnavigation abhängigkeitserfahrener Akteur:innen

DFG-Projekt (Projektnummer: 556376662), Laufzeit: 10/2025–09/2029

Leitung und Durchführung: Dr. Ina Kuhn

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Wie teilnehmen an alkoholreichen Festivitäten, Stammtischen oder Kochabenden? Wie Freundschaften gestalten, die sich hierüber konstituieren? Wo einkaufen, wenn Alkohol zu vermeiden ist? Was antworten, wenn Datingpartner:innen fragen, warum man nicht trinkt? Was machen, während andere trinken?

abstinente alltage

Fotos: Ina Kuhn, aufgenommen in Freiburg [Auf dem linken Bild ist eine Werbetafel mit der Aufschrift zu sehen: „Liebe ist ausverkauft aber wir haben noch Gin“. Auf dem rechten Bild ist ein Verkaufsregal zu sehen, in dem Kinder-Überraschungseier und kleine Flaschen Alkoholika nebeneinander gelagert und angeboten werden.]

Mit Fragen wie diesen sind abhängigkeitserfahrene Menschen in unserer alkoholreichen Alltagskultur immer wieder konfrontiert und begegnen ihnen mit vielfältigen, situations- und kontextspezifischen Taktiken und Strategien: Sie finden und schaffen ‚alternative‘ Formen und Formate (z.B. „rauschfrei“ feiern, „sober dating“), bilden (sozialmediale) Gemeinschaften (z.B. abstinente Stammtische, „quit-lit“ -Buchclubs, Online-Communities), eignen sich und wenden (populär-)therapeutische Praktiken an (z.B. ‚nüchterne‘ Glaubenssätze), (re-)strukturieren und (re-)organisieren ihre Tagesabläufe, überformen individuelle Gewohnheiten und Routinen und (re-)produzieren abstinenzlegitimierendes Wissen und daran geknüpfte Narrative.

 Abstinente Alltage 2

Foto: Ina Kuhn, aufgenommen in Freiburg. [Auf dem Bild ist der Kopf eines öffentlichen Mülleimers zu sehen, auf dem ein Sticker mit dem von einem Katzensticker überklebten Gesicht des ehemaligen deutschen Radsportlers Jan Ullrich mit der Aufschrift „Ulle war sauber“ klebt, darunter stehen mit schwarzem Filzstift geschrieben die Worte „stay sober“]

Diese Prozesse nimmt das Projekt „Abstinente Alltage“ ethnographisch in den Blick. Es untersucht aus empirisch-kulturwissenschaftlicher Perspektive die alltäglichen Strategien und Techniken, die Menschen mit Abhängigkeitserfahrung etablieren und anwenden, um im Kontext einer alkoholgeprägten Gesellschaft abstinent zu leben. Das Projekt versteht Abstinenz nicht als passives Nichtstun, sondern als aktives Nicht-Tun, das spezifische kulturelle Kompetenzen und Alltagsstrategien erfordert. Ziel des Projekts ist es, die soziokulturellen Herausforderungen und Aushandlungen von Alkoholabstinenz sichtbar zu machen und zu zeigen, dass Abstinenz nicht nur eine therapeutische Maßnahme, sondern eine komplexe kulturelle Praxis und Lebensstrategie ist, die aktiv im Alltag gestaltet und aufrechterhalten wird. Um Abstinenz als Alltagspraxis zu untersuchen, verfolgt es einen ethnographischen Forschungsansatz: Das Projekt umfasst eine Kombination aus teilnehmender Beobachtung, informellen Gesprächen und qualitativen Interviews mit abhängigkeitserfahrenen Menschen. Ziel des Projektes ist es, die gesellschaftliche Pluralität abstinenter Lebenswelten sichtbar zu machen und stereotypen sowie stigmatisierenden Vorstellungen von ‚Abhängigkeit‘ entgegenzuwirken.